Die Angst vor dem eigenen Ich...

Veröffentlicht am 5. November 2021 um 18:09

...oder die Unsicherheit dem eigenen Willen, den eigenen Überzeugungen und der inneren Stimme zu Vertrauen.

Was ist denn das Ich, um das es hier gehen soll?

Nach Werner Corell ist das Ich, der Wille der in uns wohnt. Der Wille ist das Insgesamt unserer Motivationen, welche das Ergebnis unseres Verhaltens sind. Die Kontinuität des Verhaltens bezeichnet den Charakter.
Nach Sigmund Freud ist das Ich, die Gesamtheit des Es, was ich als inneres Kind bezeichnen würde, des Ich, das erfahrene Wesen im Wachstum, und des Über-Ich´s, Normen und Glaubenssätze, die uns begleiten.
Nach meiner Erfahrung sind sowohl die eine als auch die andere Theorie wahr. Das Ich bildet sich durch Interaktion in der Familie und der Lebensumwelt. Wer wir sind, ist ein Zusammenspiel aus Erfahrungen zu unserem Verhalten, aus Rückmeldungen und Bewertungen (Glaubenssätze), aus Normen und Wertvorstellungen unseres sozialen Milieus und aus Erkenntnissen die wir durch Reflektion gewinnen. Unsere Motivationen und Bedürfnisse entwickeln sich durch unser Verhalten, unsere Erkenntnisse und Erfahrungen.
Im Laufe des Lebens machen Menschen viele Erfahrungen, da sie sich in unterschiedlichen Settings bewegen. Einige dieser Erfahrungen sorgen für Frustrationsgefühle, andere für Erfolgsgefühle.
Frustration geht mit dem Erlebnis eines Unfreiwilligen Verzichts auf die Erfüllung einer Erwartung eines Wunsches einher. Frustration führt zu Aggression, Depression, Regression, Rationalisierung, Neurosen und Sublimation. Wir versuchen unseren Kern, durch die eben erwähnten Verhaltensweisen zu schützen. Mit der Akzeptanz der Situation baut sich auch die Frustration ab, das braucht allerdings Zeit. Die in unserer Gesellschaft ja bekanntlich Geld ist und ein knappes Gut. Abgesehen davon sind die meisten Menschen ungeduldig und blind für die eigenen psychischen Bedürfnisse, da sie leider keinen anderen Umgang gelernt haben. Dieses Phänomen, welches über die Zeiten zu beobachten ist, könnte man ohne schlechtes Gewissen als Ouroboros bezeichnen.
Wird ein Mensch permanenter Frustration ausgesetzt manifestiert sich dieses Verhalten. Ob wir etwas als frustrierend oder erfolgreich empfinden, hängt zum einen mit unseren Glaubenssätzen und zum anderen mit unseren Motivationen zusammen.
Wobei hier auch gesagt werden muss, dass sich Motivationen auch aus Glaubenssätzen entwickeln können, entweder weil die Glaubenssätze uns behindern oder beflügeln, weil wir gefallen oder rebellieren wollen.
Die Frustration des Gegenübers löst in den meisten Menschen eine massive Unsicherheit aus. Die Frage, nach der Schuld und das Gefühl von Scham stellt sich ein. Viele Menschen hinterfragen diese beiden Gefühle allerdings nicht. Der Grund dafür liegt meist im Kindesalter.
Die Unsicherheit, die ich hier beschreibe meint, die Selbstunsicherheit oder auch Selbstzweifel, als subjektiv-emotionalen Zustand eines Lebewesens infolge von fehlendem Vertrauen (bspw. in die eigenen Gefühle) oder Ängstlichkeit (als Person missachtet zu werden)

"Es besteht kein Grund dafür die Frustration des Gegenübers, die sich bei einem NEIN einstellt persönlich zu nehmen." (Jesper Juul)

Leider tun die meisten Menschen genau das. Vor allem Eltern neigen dazu die Frustration Ihrer Kinder persönlich zu nehmen und sagen ihren Kindern damit: "Du machst etwas falsch, das darfst du nicht fühlen." Dies sorgt für massive Unsicherheit bei Kindern, die später unsichere Erwachsene werden. Die Unsicherheit kann sich dann in den oben genannten Entfremdungen vom eigenen Ich äußern.
Das heißt konkret, dass wir uns in irgendeiner Art und Weise in der Welt verhalten. Haben wir mit einer Verhaltensstrategie gute Erfahrungen gemacht, werden wir das Ergebnis des Verhaltens in eine Motivation überführen.
Hierzu ein Beispiel: Person A hat im Kindesalter die Verantwortung übertragen bekommen für das gemeinsame familiäre Abendessen einzukaufen. Diese Aufgabe hat Person A gut gemeistert, alle wurden satt und es hat allen geschmeckt. Person A hat sich also unabhängig und verantwortungsvoll gezeigt. Dieses Verhalten führte zum Erfolg, da die Rückmeldungen als positiv empfunden wurden.
Person A wird dieses Verhalten von nun an öfter zeigen und damit erfolgreich sein. Aus dem Verhalten entwickelt sich eine Motivation. Die Motivation nach Unabhängigkeit und Verantwortung.
Haben wir mit einem Verhalten schlechte Erfahrungen gemacht und resultiert daraus eine Unsicherheit, werden wir versuchen die innere Sicherheit wieder herzustellen und unser Verhalten bis zu einem Erfolgserlebnis anpassen. Erzeugt die Verhaltensanpassung keine Erfolge und sind wir weiter Frustrationserlebnissen ausgesetzt, gehen wir zu den oben benannten Mechanismen des Selbstschutzes über. Erfolg und Misserfolg hängen unmittelbar mit der Selbstwahrnehmung und der Rückmeldung des Umfeldes zusammen.

Zusammenfassend ist also zu bemerken:

Menschen entwickeln anhand Ihrer Lebenssituationen die unterschiedlichsten Motivationen. Die Summe all dieser im Laufe des Lebens erlangten Motivationen ist unser Wille und damit unser Ich, oder unsere Persönlichkeit, gemeinhin unser Charakter.
Doch warum fällt es vielen Menschen so schwer Ihr eigenes Ich zu erkennen und zu akzeptieren?
Nun, der Mensch ist im Allgemeinen ein soziales Wesen, welches auf Interaktion, Zuwendung und Ablehnung angewiesen ist, um die Wirklichkeit zu erfassen. Wir befinden uns in einer permanenten Interaktion mit anderen Individuen. Wie wir Situationen bewerten, hängt mit unserem Blickwinkel auf die Welt zusammen. Die Erfahrungen die wir als Kinder machen haben einen Einfluss, aber auch die Werte und Normen unserer Gesellschaft ebenso wie die Motivationen und Bedürfnisse in uns.

Haben wir als Kinder die Erfahrung gemacht, dass unser Wille nicht von Bedeutung ist, weil wir nicht als Gleichwürdig erachtet wurden, oder waren wir hypnotischen negativen und abwertenden Glaubenssätzen ausgesetzt, haben wir als Erwachsene massive Probleme unser Ich zu erkennen und sind von existenzieller Unsicherheit betroffen, die langfristig zu Frustrationen und damit zu den oben erwähnten Schutzmechanismen führt. Wir spalten unsere Emotionen ab und verlassen uns allein auf unsere Ratio. Wir werden zu Menschen die als nicht authentisch empfunden werden, die Schwierigkeiten haben konstruktiv zu Handeln und zu kommunizieren. Wir befinden uns in einem Zustand permanenter Unsicherheit. Wir leben als gespaltene Wesen und folgen den Richtlinien der anderen, zeigen uns stets rational und leben unsere Frustrationen aus, wobei wir dazu neigen uns selbstschützerisch zu belügen und die Verantwortung auf andere zu übertragen. Gleichzeitig schämen wir uns und empfinden eine Schuld die wir nicht zuordnen können.

Dieser Zustand muss allerdings nicht für die Ewigkeit sein. Wir können uns bewusst dagegen entscheiden. Wir können unser Ich erkennen, dazu müssen wir uns aber ehrlich reflektieren und auch Frustration und Unsicherheit als willkommenen Kompass zulassen. Wir müssen die schmerzhafte Erfahrung machen unsere Glaubenssätze zu hinterfragen. Wir müssen die Gefühle der Schuld und Scham erkennen und sie zulassen um zu erfahren, ob diese Gefühle in den unterschiedlichen Situationen gerechtfertigt sind und ob das überhaupt unsere eigene Unsicherheit, Schuld oder Scham ist die wir da spüren, oder ob unser Gegenüber diese Gefühle aus Selbstschutz auf uns projiziert.
In jedem Fall heißt es Verantwortung für sich und das eigene Handeln übernehmen.

 

Viel Erfolg!

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